Was soll mich noch interessieren? / Antwort

Skeptischer HerrÄhnliche Fragen könnten lauten: „Was kann mir da noch etwas bedeuten“? oder „Was soll da noch besonderes kommen“?

Ich verstehe die Frage als einen Ausdruck einer Unzufriedenheit. Hierdurch ergibt sich automatisch ein Wunsch des Fragenden (sonst wäre er ja wunschlos glücklich – schließlich meint er alles gesehen zu haben). Vielleicht hatte er eine interessante Tätigkeit – schließlich hat er ja schon einiges gesehen. Jetzt fehlt ihm etwas. Er meint, dass es nichts mehr gebe, das ihn interessieren könne, vielleicht das das Leben aus seiner Sicht interessant oder auch lebenswert macht?

Hinter der Frage sehe ich ein zentrales Grundproblem des Menschen verborgen, als bewusstes Wesen. In dem wir uns des Lebens bewusst werden, wird uns auch bereits früh unsere Sterblichkeit bewusst. Ich erinnere mich an die Kinder eines Kollegen, der stets Küken für seine Kinder besorgte. Wenn aus den Küken Hühner wurden, brachte er sie zurück zu einem älteren Herrn, der auf dem Land wohnte. Einmal fragten die Kinder den Mann, was denn nun mit den Hühnern geschehe. Meinem Kollegen stockte der Atem. „Die kommen in ein Altersheim für Hühner“ gab er wie selbstverständlich zur Antwort zur Erleichterung meines Kollegen.

Es ist fraglich, ob wir der Skepsis des Herrn in dem Bild abhelfen könnten in dem wir etwas Ähnliches sagen (was aber dennoch ständig gemacht wird – im Fall des Herrn wären das Ratschläge, sich ein Hobby zu suchen oder doch mit der Nachbarin Tee zu trinken etc.). Selbst Kindern wird früher oder später die Bedeutung des Todes als irreversibles Ereignis bewusst. Der ältere Herr im Bild spricht lediglich etwas aus, das uns zumeist zu verdrängen gelingt. Dennoch bringen uns Ereignisse, die mit Veränderungen einhergehen, besonders oft Verluste diese schmerzliche Realität in unser Bewusstsein. Überlegen sie sich, sie befänden sich auf einem Weg. Der Weg ist holprig, es geht bergauf und bergab, sie müssen Gestrüpp und Steine aus dem Weg räumen, vielleicht sogar eine Brücke bauen, um über einen Fluss zu gelangen. Vielleicht wissen sie, dass der Weg nicht ungefährlich ist. Spräche man sie darauf an, würden sie womöglich antworten: „Aber sicher kann ich abstürzen oder von einer Giftschlange gebissen werden, da muss ich halt aufpassen“. Sie wissen auch, dass der Weg irgendwann ein Ende haben wird, aber da ja immer wieder neue Steine vor ihnen liegen, oder Brücken zu bauen sind, denken sie nicht darüber nach. Plötzlich ist da hinter einer Weggabelung eine weite Ebene – der Weg führt geradeaus. Und da ist es – auf einmal spüren sie wie die Angst in Ihnen hochkriecht, sie denken: dahinter kommt vielleicht nicht ein neuer Weg, wie bisher, sondern da hört der Weg womöglich auf. Derartiges kann zwar in verschiedenen Lebensphasen zu Bewusstsein geraten, oft treten solche Gedanken mit den dazugehörigen Gefühlen auf, wenn übliche Belastungen wegfallen, wenn wir glauben, dass es uns eigentlich besser gehen sollte, etwa nach der Berentung oder auch nach langdauernder und belastender Pflege eines Angehörigen.

Zumeist vergeblich versuchen wir dann zu entrinnen in dem wir uns neuen Aufgaben stellen, teils verzweifelt versuchen wir die Lücken zu füllen, die der Wegfall einer vorangegangener Aufgaben hinterließ.

Das was der Fragende als Interesse bezeichnet ist nichts anderes als der Wunsch, weiter zu leben, der angesichts der Konfrontation mit der Leere (dem Blick in die Ebene mit dem vermeintlichen Tod am Ende) auf einmal nicht mehr spürbar ist.
Dieser Leere kann man nicht entweichen. Möchte der Herr eine Antwort auf seine Frage, muss er bereit sein die Leere zumindest für eine Zeit auszuhalten, sich also nicht unmittelbar in neue Tätigkeiten zu stürzen (im Fall des Herrn hat er diese Möglichkeit ja bereits ausgeschlossen durch seine Formulierung, er habe schon so viel gesehen). Erst dann wird es ihm möglich sein, zu einer Neubewertung seines Lebens gelangen. Im Bild der Ebene würde dies bedeuten auf den Boden vor sich zu schauen. Vielleicht sieht man eine Eidechse, die gerade unter einem Stein verschwindet oder eine Blüte an einem Kaktus. Vielleicht wird man sich bewusst, dass man normalerweise an so etwas stets vorbeigelaufen ist, schließlich musste man ja Steine aus dem Weg räumen oder Brücken bauen. Möglicherweise merkt man dann, dass es gar nicht so schlecht ist, dass man nicht so steil steigen muss, schließlich ist man ja älter geworden und ist einem das vielleicht ganz recht.