Labyrinth / Antwort

Das beschriebene Gefühl dürften die meisten Menschen kennen. Die wenigsten Leben verlaufen so geradlinig, dass man zu jeder Zeit sowohl vor als auch zurückschauen kann. Zudem stellt sich die Frage, ob dies wirklich wünschenswert ist. Die wohl berühmteste Lösung aus einem Labyrinth zu gelangen, ist die Verwendung eines Fadens. In der griechischen Mythologie war der Faden der Prinzessin Ariadne ein Geschenk an Theseus.

LabyrinthDoch nicht immer hat man darauf geachtet, einen Faden auszulegen oder es geht einem wie Hänsel und Gretel, die zwar Brotkrumen gestreut haben, jedoch feststellen müssen, dass diese durch die Vögel aufgegessen wurden. Dennoch weist der Grundgedanke einer Markierung in die richtige Richtung. Seit Goethes Wahlverwandtschaften, verwendet man beispielsweise die Redewendung: „Etwas zieht sich wie ein roter Faden durch etwas“. Dies bedeutet, dass eine Struktur oder auch ein Ziel erkannt werden kann. (Gemäß Goethe wurde der rote Faden als ein kennen Faden für Tauwerke der königlichen britischen Marine verwendet). Die Redeweise: „Jemand hat den Faden verloren“ bezieht sich da hingegen eher auf das Weber Handwerk. Aber auch dieses Bild verdeutlicht, dass ein Anknüpfen an eine vormalige Struktur nicht mehr gelingt.

Wie soll man also vorgehen, wenn man, wie in der obigen Frage immer wieder vor einer Wand zu stehen glaubt oder auch den Faden verloren hat? Eine andere Methode einem Labyrinth zu entrinnen besteht in der so genannten Rechte Hand Regel. Man legt einfach seine rechte Hand an eine Wand des Irrgarten und hält dann beim Durchlaufen ständigen Kontakt. Falls es sich um einen einfach zusammenhängenden Irrgarten handelt, garantiert die Rechte Hand Regel, dass man entweder einen anderen Ausgang erreicht oder wieder zum Eingang zurückkehrt. Die dahinter stehende Logik ist leicht nachzuvollziehen. Wenn man einen langen Papierstreifen der Länge nach zusammenknüllt, erhält man ebenfalls zahlreiche Windungen und Gänge (man stelle sich vor dass dieser Papierstreifen leicht klebrig sei. Man legt ihn anschließend vor sich hin und erhält eine Art -zu mindestens ließe sich auf diese Weise ein Labyrinth basteln, dass einer zweidimensionalen Darstellung entspräche. Nun braucht man sich nur vorzustellen, dass man beide Enden des Papierstreifens vorsichtig wieder auseinander zieht und man kann sich vorstellen, wie die Rechte (oder linke) Hand Regel funktioniert.

Aber selbst aus einem Labyrinth, dessen Wände nicht zusammenhängen, gibt es eine Möglichkeit heraus zu finden ohne Faden. Es handelt sich dabei um den so genannten Pledge-Algorithmus, benannt nach dem gleichnamigen Mathematiker. Man wählt eine zufällige Zielrichtung bis man an ein Hindernis gelangt. An dieser Wand wird nun die rechte Hand (oder auch die linke) gelegt. Von nun an beginnt man in die eine oder andere Richtung mit der Hand weiter Kontakt halten zu gehen und zählt dabei jeweils die Winkel um die man sich beim Vorwärtsgehen von der Zielrichtung wegdreht oder auf die Zielrichtung zudreht. Dabei muss man jeweils das wegdrehen als negativ und das zudrehen als positiv rechnen (oder umgekehrt). Ist man wieder in Zielrichtung ausgerichtet und ist die Summe der gemachten Drehungen gleich null, löst man die Hand vom Hindernis und geht geradeaus in Zielrichtung (usw.).
Nun hat nicht jeder ein Mathematik Lehrbuch oder ein Smartphone mit Wikipedia zur Verfügung, wenn er sich in einem Labyrinth befindet. Die vorgenannten Vorschläge helfen also nur bedingt weiter.
Im vorgenannten Beispiel des verlorenen roten Fadens geht es darum an eine vorhandene Struktur anzuknüpfen, die zunächst wieder gefunden werden muss. Dasselbe gilt für den oben genannten Kennfaden, der, sobald er gefunden ist, Hinweise auf das verwendete Tau gibt.

In der Psychotherapie gibt es zahlreiche Techniken, die Menschen helfen können dem Gefühl ständiger Wiederholung von Irrwegen zu entkommen. Zunächst ist es notwendig innezuhalten statt ziellos weiter zu laufen. Im nächsten Schritt geht es eine Zielrichtung zu bestimmen. Dabei ist es eher normal, dass eine zunächst gewählte Zielrichtung nicht die Richtung ist, wo sich letztlich der Ausgang befindet. Dennoch gilt es diese Richtung zunächst beizubehalten oder auch den Faden den man einmal zu fassen bekommt nicht gleich wieder loszulassen, auch wenn es sich nicht um den gleichen Faden handelt. Dies bedeutet etwa, dass eine Argumentationskette bis zu Ende gedacht werden sollte und auf keinen Fall unterbrochen werden sollte. Im Allgemeinen zeigt sich dann eine Struktur, die auch das Erkennen eines Ausweges ermöglicht.

Exkurs:
Der Autor möchte dies an einem fiktiven Patienten Beispiel verdeutlichen: ein Mann mittleren Alters, wir nennen ihn Herrn Müller, soll für seinen Betrieb eine Präsentation vorbereiten. Er klagt darüber, dass er immer wieder von vorne beginnt, dann nicht mehr weiter kommt und auch starke Angst verspürt. Wenn man ihn fragt, wovor er denn Angst habe, antwortet er: „dass ich mich blamiere“. Auf die Frage, was denn seiner Meinung nach passieren würde, wenn er sich tatsächlich blamieren sollte (verbunden mit der Bitte sich das Schlimmste vorzustellen) antwortet Herr Müller: „Meine Kollegen und mein Chef werden denken ich sei unfähig, würden mich meiden und ich würde keine anspruchsvollen Aufgaben mehr bekommen. Wenn es dem Unternehmen mal schlechter gehen sollte, wäre ich der erste, der seine Arbeit verliert“. Herr Müller wird nun gebeten auch diesen Gedanken weiter zu führen. Er berichtet, dass er dann seinen Lebensstandard nicht mehr halten könnte, seine Ehefrau ihn womöglich verlassen würde, seine Tochter nicht mehr weiter studieren könnte und womöglich ebenfalls den Kontakt zu ihm abbrechen würde. Er sei dann ganz allein.“ Wenn wir nun Herrn Müller fragen, wie er sich fühlt, wird der äußern, dass er starke Angst verspüre. Während der Fragen und der Aufforderungen weiter zu denken, wird er vermutlich wiederholt einwenden, dass er sich das eigentlich gar nicht vorstellen könne und dass alles ja wohl vermutlich gar nicht so schlimm würde. Auch nach dem Katastrophenszenario wird der Patient seine Überlegungen vermutlich relativieren. Bei einer weiteren Therapiesitzung-nehmen wir an, Herr Müller hat seine Präsentation überstanden-berichtet er, dass er bei einem wichtigen Familienfest eine Rede halten soll. Er äußert, dass er sich bereits vor den ganzen Menschen sehe wir Stammeln gerate und rot werde. Gleichzeitig meint er beschwichtigend, so schlimm werde es schon nicht werden, man werde ihm wohl nicht den Kopf abreißen. Analog zu dem Vorgehen im vorangegangenen Fall wird Herr Müller wiederum gebeten seine Befürchtungen zu formulieren und die entsprechenden Gedanken zu Ende zu denken. Dabei wird der gebeten, auch wirklich genau die damit verbundenen Gefühle einschließlich entsprechender Körpersensationen zu beschreiben. Möglicherweise kommt Herr Müller wieder zu dem Ergebnis, dass er am Ende alleine dasteht. Wie sie sehen, scheint sich hier bei dem Patienten ein Muster abzuzeichnen. Natürlich hilft vielen Menschen schon, wenn sie sich wiederholt mit einer konkreten Angst, etwa der einer Rede zu halten auseinandersetzen, diese quasi versuchsweise in der Therapie durchleben und damit bei der realen Konfrontation tatsächlich oft ruhiger sind. Im Bild des Irrgartens würde dies jedoch bedeuten, dass der Irrende zunehmend trainierter wird im Durchlaufen des Irrgartens, jedoch immer noch nicht ein Ziel erreicht. Im Fall von Herrn Müller würde dies bedeuten, dass er zwar souveräner wird Reden zu halten, Präsentationen künftig gelassener vorbereiten kann; dennoch präsentiert er unter Umständen weiterhin Probleme, die den zuvor geschilderten ähneln. Hier wird es im fiktiven Fall notwendig sich mit dem immer wiederkehrenden Muster der Angst vor dem Alleinsein zu befassen. Auch hier ist zu erwarten dass der Patient ausweicht, z. B. äußert seine Frau stehe zu ihm, seine Kinder würden sich regelmäßig beim ihm melden und er habe Freunde. Psychologisch nennt man solche Argumentationen: Sicherheitsdenken. Das Problem von Sicherheitsdenken kennt man, wenn man versucht seine Sorgen bei Flugangst oder vergleichbaren Ängsten herunter zu regulieren, indem man an die Ergebnisse von Statistiken denkt. Das hilft meist nicht wirklich weiter. Hingegen hilft es, wenn Herr Müller sich bewusst wird, dass die Angst vor dem Alleinsein vermutlich zentrale Bedeutung für ihn hat.
(Tatsächlich handelt es sich bei der Angst vor dem Alleinsein um eine Grund Angst sämtlicher Säugetiere. Betrachtet man die Angst vor dem Alleinsein vor einem evolutionären Hintergrund so wird die dahinter stehende Logik deutlich. Für ein Säugetier bedeutet der Verlust des Rudels nicht selten den Tod. Demnach wird es vom ersten Atemzug an alles dafür tun nicht alleine zu sein. Nehmen wir an, dass ein noch sehr junges Tier – warum auch immer -dem Alleinsein ausgesetzt wird, verbunden mit den aber negativen dazugehörigen Begleitgefühlen, vor allem Angst, vielleicht auch Hunger oder Kälte, so ist zu erwarten, dass dieses Tier nach einer entsprechenden Erfahrung erst recht alles daransetzen wird das es nicht noch einmal zu einem solchen Erleben kommt. Besonders kleinen Kindern geht es ähnlich. )
Wenn die Mutter des 17 Monate alten Klaus Rüdiger Müller schnell mal eben zum Supermarkt geht, dort vielleicht etwas länger verweilt aufgrund der guten Angebote, wird sich das Kind vermutlich nicht denken: „Ach so, heute ist ja Sonderangebots Tag, dann ist ja klar dass Mama heute länger weg ist“. )
Wie findet Herr Müller nun aus dem Labyrinth seiner ständig wiederkehrenden Angst verursachenden Situationen heraus?
Sobald ihm das Grundmuster seiner Ängste deutlich ist, oder im Bild des Labyrinths zu bleiben, sobald er eine Technik hat mit den sich scheinbar immer wiederkehrenden Irrwegen umzugehen, gibt erhält er eine Möglichkeit aus dem Labyrinth herauszufinden. Herr Müller wird irgendwann erkennen, dass der Ursprung seiner Ängste vor dem Alleinsein in der Kindheit liegt, sich entsprechende Muster bereits durch sein ganzes bisheriges Leben ziehen. Durch Markierungen, d.h. in dem er sich seine Ängste anhand von Ereignissen, wie sie zuvor geschildert wurden, bewusst macht – vermeidet er immer wieder in dieselben Sackgassen herein zu laufen. Nun hält er den Faden der Ariadne in seiner Hand der ihn auch aus dem Labyrinth führen wird.