Wir streiten uns nur noch, … / Antwort

OLYMPUS DIGITAL CAMERADer Psychotherapeut ist geneigt zu sagen: „na immerhin kommunizieren Sie miteinander“. Das mag zunächst zynisch klingen, trifft jedoch einen realen Kern. Aus der Frage leitet sich nämlich die Überlegung ab, warum das Paar überhaupt miteinander kommuniziert. Sicherlich fallen Ihnen viele Anlässe ein für eine Kommunikation. Denken sie jetzt mal über mögliche Anlässe nach. Wenn möglich, schreiben sie sich diese Anlässe auf. Nun versehen sie die Anlässe für eine Kommunikation, die sie als für sich als sinnvoll erachten mit einem Zeichen.

Es folgen Vorschläge, was Anlass für eine Kommunikation sein könnte:

  1. Ich habe Hunger und komme an einer Bäckerei vorbei, gehe hinein.
    (Kommunikation: Guten Tag, könnte ich ein Brötchen haben?)
  2. Ich komme mit meinem Einkaufswagen nicht weiter, weil mir jemand im Weg steht. (Kommunikation: wären Sie bitte so freundlich ein Stück zur Seite zu gehen, damit ich meinen Einkaufswagen durchschieben kann?)
  3. Ich habe eine Anzeige eines Theaterstücks in der Zeitung registriert. Ich würde es gerne sehen. Noch schöner fände ich es, wenn meine Frau mitkäme.
    (Kommunikation: Hättest Du Lust mit ins Theater zu kommen?)

In allen 3 Fällen möchte ich etwas.
Bei Frage 1 kann ich wohl damit rechnen, dass mein Wunsch erwidert wird, schließlich kann ich davon ausgehen, dass die Bäckersfrau Brötchen verkaufen möchte.
Bei Frage 2 kann das schon anders aussehen. Der Angesprochene könnte z.B. antworten: „Ich würde mir gerne noch etwas in der Auslage genauer anschauen, könnten Sie nicht einen anderen Weg gehen, schließlich ist der Gang ja auch von der anderen Seite zu erreichen.“
Bei Frage 3 schließlich könnte meine Ehefrau antworten: „Ich hatte mir überlegt mit Dir heute ins Kino zu gehen, da läuft ein Film, der mich interessiert.“ Überlegen Sie, wie diese Kommunikation weiter gehen könnte. Idealerweise überlegen Sie sich 3 möglichst voneinander unterschiedliche Varianten.
Meine Ideen hierzu:

a) Kompromiss
b) Jeder macht das seine
c) Streit und keiner geht

Haben Sie Version c) schon mal erlebt? Wie kommt es wohl dazu?
Vielleicht gehören Sie zu denen, denen das irgendwie vertraut vorkommt, oder die ähnliches schon erlebt haben. Lässt sich denn ein derartiger Streit überhaupt vermeiden?
Fragen wir doch die Streithähne. Was glauben Sie, würden diese antworten?

Meine Ideen hierzu:

Partner: Ich bin überzeugt, dass es ein tolles Stück ist. Das muss er doch verstehen.
Der nimmt mich nicht ernst. Dem bin ich (oder meine Meinung) nicht wichtig.
Partnerin: ich bin überzeugt, dass es ein toller Film ist. Das muss er doch verstehen.
Der nimmt mich nicht ernst. Dem bin ich (oder meine Meinung) nicht wichtig.

Auf welche möglichen Antworten sind Sie gekommen? Vielleicht schreiben Sie sich die Antworten auf. Lesen Sie Ihre Antworten anschließend nochmal durch und überlegen Sie, welcher Teil Ihrer Antwort auf einer Vermutung basiert und was auf einer realistischen Einschätzung? Falls Sie keine eigenen Antworten gegeben haben, schauen Sie die o.g. Antwortvorschläge an.
Richtig:
Teil 1 (ich bin überzeugt, dass es ein tolles Stück ist) ist eine Einschätzung, die ich selbst getroffene habe.
Teil 2 (das muss er doch verstehen) hingegen ist eine Vermutung – schließlich hat mein Gegenüber womöglich gar nicht Zeitung gelesen an dem Tag oder das Kinostück ist ihm eher aufgefallen. Wäre es möglich, dass wir in einen unterschiedlichen Geschmack haben?
Teil 3 (der nimmt mich nicht ernst) – Ist das so? Hier handelt es sich deutlich um eine Bewertung, wie auch
Teil 4 (ich bin ihm nicht wichtig) – selbst wenn Teil 3 zutreffen sollte, stimmt dann Teil 4?
Manchmal ist es notwendig, die Anlässe eines Streites genauer anzusehen und zu schauen, wann man Bewertungen trifft und wann es sich um „echte“ Probleme handelt. Umgekehrt bedeutet das, das es Situationen gibt, deren Interpretation nicht viel Bewertungsspielraum lässt. So werden Sie wohl kaum lange über eine Antwort nachdenken müssen, wenn Ihnen jemand vorschlägt: „geben Sie mir bitte ihr Geld, ich hätte gerne mehr“. Möglicherweise würden Sie zumindest säuerlich reagieren, wenn Ihr Partner oder Ihre Partnerin Ihnen erzählen würde: „Heute Abend gehe ich mit der Nachbarin (dem Nachbarn) aus. Du musst das verstehen, der / die sieht um Längen besser aus als Du.“ Wenn wir uns die Bewertungen ansehen, entdecken wir manchmal, dass sich die Bewertungen ähneln. Natürlich kann das eine Ursache darin haben, dass wir es ja auch mitdemselben Gegenüber zu tun haben. Manchmal hört man den Satz: Der treibt mich auf die Palme oder die macht mich immer wütend. Gerade hier lohnt es sich aufzuhorchen und näher nachzuschauen. Was genau macht mich wütend, bringt mich (oder mein Gegenüber) auf die Palme. Dabei hilft es zunächst, sich selbst zu betrachten, das heißt die eigenen Bewertungen unter die Lupe zu nehmen. So berichtete mir eine Bekannte, das Sie sich darüber geärgert habe, dass Sie ihrem Mann erst einen Vorschlag unterbreitet, dieser dann aber etwas ganz anderes gemacht habe. Sie meinte, dass sie daraus schließe, dass ihm die Partnerschaft nicht so wichtig sei. Auf mein Nachfragen, ergänzte sie, dass ihr Mann vermutlich nicht richtig hingehört habe, er sei oft mit dem Kopf nicht bei der Sache. Ich fragte, sie, warum sie denn nicht nochmal nachgefragt habe, ob er wirklich verstanden habe, was sie wolle, wo sie doch um seine Schwäche wisse. Sie verneinte dies. Ich fragte sie, ob sie das, was sie ursprünglich vorgehabt habe, alleine getan habe, was sie mit der Begründung verneinte, dass ihr die Partnerschaft ja wichtig sei. Sie habe sich jedoch geärgert, der Tag sei versaut gewesen.
Wem ist die Partnerschaft wichtiger? Kann man das messen und wenn ja, wie?
Vielleicht werden Sie entgegnen, dass sich dies in unserem Verhalten dem Beziehungspartner gegenüber zeigt. Im geschilderten Fall könnte das Verhalten des Partners demnach darauf schließen lassen, dass er seine Frau nicht ernst nimmt. Schließlich wird sie ihm seine Schwäche schon öfter vorgehalten haben, er hätte sich ja auch mal ändern können, an sich arbeiten können.
Vielleicht hat die Frau keine Schwächen. Wir wissen es nicht. Wie ist es mit Ihnen?